Reden ist Silber, Schreien Gold

Reden ist Silber, Schreien Gold

Auf dem Weg zur Arbeit komme ich an einer Reihe von Zeitungskästen vorbei. Es ist mir über die letzten Jahre zur Gewohnheit geworden, beim Vorübergehen etwas Langsamer zu werden, um die sichtbaren Überschriften zu lesen. Wieso ich das trotz Hosentaschen-Internets mache, weiß ich nicht. Viel Neues erfahre ich auf diesem Weg nicht. Normalerweise vergesse ich nach ein paar Schritten die Headlines auch wieder. Nicht so heute Morgen.
Hinter der Glasscheibe des grünen Kastens stand: „Trump zettelt Kleinkrieg in Georgia an“. Ich blieb stehen und wollte die Zeitung rausnehmen. Mein Vorhaben scheiterte, da der Kasten mit einem Schloss gesichert war. Ich ging weiter. Hat Trump jetzt doch noch einen Krieg angefangen? Kurz vor Ende seiner Amtszeit? Gab es etwa bürgerkriegsähnliche Ausschreitungen? Ich blieb wieder stehen. Die Zeitung sollte ich mir kaufen, klingt interessant. Ich schaute in meine Geldbeutel. Kein Kleingeld. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal ein Printmedium in meinen Händen? Ich trappte weiter.
„Trump zettelt Kleinkrieg in Georgia an“. Die Überschrift lies mich nicht los. In der Arbeit angekommen, öffnete ich meine Standardsuchmaschine und fing an, nach der Überschrift zu suchen. Das Ergebnis kam gleich an erster Stelle.

Trump hatte nicht genug Stimmen für seine Wiederwahl erhalten. Das machte dem Narzissten ein wenig zu schaffen. Und so ordnete er an, die abgegebenen Wahlstimmen in Georgia noch mal per Hand nachzählen. Eine Niederlage kam für ihn schließlich nicht in Frage. Der Artikel war weniger aufregend, als ich dachte. So wie ich den Artikel verstanden habe, versuchte ein geschlagener Präsident mit legalen Mitteln Aufklärung über die Legitimität der Auszählungen zu erwirken. Kann er machen. Ich sehe da kein Problem, ist schließlich sein Recht als Staatsbürger der USA. Mit Krieg hat das in meinen Augen jedoch wenig zu tun, eher mit Rechtsstaatlichkeit. Dass Trump alles so lautstark machen muss … geschenkt. Das Kapitel „lautester Präsident der USA“ geht eh bald zu Ende und Biden wird das Land zur Normalität zurückführen. Wie auch immer die aussehen mag.
War die Nachzählung nötig? Vielleicht nicht, aber Trump ist auch nicht der erste Mann, der Probleme hat, seine Niederlage zu akzeptieren und gewonnene Macht wieder abzugeben. Oder, Herr Schröder? Musste dieses Thema aber mit so einem Titel überschrieben werden? Wohl eher nicht, oder wollte die deutsche Presse auf diese Weise Trump doch noch einen neu angefangenen Krieg unterjubeln?

Warum ging eigentlich fast keine deutsche Tageszeitung der Frage nach, wie es 2016 überhaupt so weit kommen konnte, dass ein jähzorniger, eher radikaler ausgerichteter Mann Präsident werden konnte? Dafür muss es Gründe gegeben haben! Einer wenigstens war ein sehr demokratischer. Wahlen! Ein anderer könnte gewesen sein, dass Amerika bereits vor Trumps Amtsantritt ein tief gespaltenes Land war. Seine Wahl war folglich ein Symptom, eine Verkettung von Umständen. Er jedenfalls war nicht die Ursache allen Übels. Wir können uns das zwar weiterhin einreden, bringt aber im Endeffekt niemanden weiter.

Aber … menschenverachtend war er. Ja, das mag sein. Doch handeln wir moralischer? Oder reden wir einfach nur geschickter um den heißen Brei herum? Hat Donald Trump mit seiner schonungslosen Art nach vier Jahren Amtszeit die Welt zu einer schlechteren gemacht. Ich glaube nicht, dafür gibt es anderen Sündenböcke. Die sitzen je nach Tagesform entweder in Russland oder China.

Trump wird bald Geschichte sein und ein anderer reicher Mann kommt an die Macht. Er wird über gute Taten reden, denen gute Versprechen folgen. Die Weltordnung ist wieder hergestellt, so wie wir sie aus Europa kennen und schätzen. Amerika wird unter neuer Herrschaft endlich wieder DER Verfechter freiheitlicher Demokratie sein, die Menschenrechte achten und Humanismus als höchstes Gut ansehen.

Am Ende ist es egal, wer Präsident ist. Amerika ist eine Hegemonialmacht und keiner, egal ob Demokrat oder Republikaner lässt sich das nehmen. Das ist einfach so und welcher das anzweifelt, darf mit den Vereinigten Staaten nicht im Sandkasten spielen. An dieser Tatsache wird selbst der demokratischste aller demokratischen Präsident nichts ändern.

Je mehr wir Trump nieder machen, umso höher heben wir Biden. Wird er also der versprochene Heilsbringer sein? Die Zustände in den USA der letzten vier Jahre haben sich nicht plötzlich dramatisch verschlechtert. Der Prozess fing schon viel früher an, doch Trump war ein guter Sündenbock, vor allem für die deutsche Presse.
Obwohl, wenn wir ganz fest dran glauben, wird mit Biden alles besser. Oder zumindest so gut, wie es vor Trump war. Und da war immerhin gefühlt alles besser. Friedenseinsätze im Kampf um unsere Ressourcen, Aufrüstung, Ausspähen unter Freunde, Demokratie ohne Einmischung der Wirtschaft, Gleichstellung für Jedermann, egal ob Schwarz oder Weiß, Reich oder Arm, Vollbeschäftigung, Medikamente für alle, ein funktionierendes Gesundheitssystem, Arbeitsrecht ... Stopp! Biden will zumindest einen Mindestlohn einführen. Danach wird es armen Amerikaner bestimmt besser gehen, zumindest aber so gut wie nach der Einführung von Obamacare.
Die USA wird mit Präsident Biden endlich wieder gut und die deutsche Regierung kann dem großen Bruder erneut blind folgen. Anschließend demonstrieren alle geschlossen noch ein bisschen gegen den Klimawandel und alles wird gut, wenn wir nur fest dran glauben.

Kann man so sehen oder nicht. Kommt eben drauf an, wen man dazu befragt. Die Gefangenen in Guantanamo, die von amerikanischen Gerichten zu Tode Verurteilten, die Opfer der Kriege um unsere Ressourcen, die „Kollateralschäden“ bei Friedenseinsätzen mit Drohnen, die schwarze Bevölkerung, Umweltschützer.
Ich denke, die werden anderes zu erzählen wissen.

Ach ja, Trump war kein Alleinherrscher, dahinter stand immer noch ein Kongress und Supreme Court, deren Richter übrigens auf Lebenszeit benannt werden - ähnlich wie der Papst und natürlich die Wirtschaft.
Eins muss ich Donald lassen. Er schafft es immerhin, Corona von den Titelseiten zu vertreiben.

Weil ich gerade noch mal über die grünen Zeitungskästen nachdenke, warum sind die eigentlich, zumindest in München, alle mit einem Schloss gesichert? Vertraut der süddeutsche Zeitungsverlag seinen Lesern nicht? Klauen Intellektuelle etwa mehr als Leser der Boulevardpresse?

Für alle Klugscheißer (Hater):
Dieser Text stellt keine Rechtfertigung für das Verhalten, Auftreten, Gesinnung oder Handlungen des scheidenden Präsidenten dar. Ob Sie mir es glauben oder nicht, aber dieser Schlag von Mensch ist mir unsympathisch - menschlich gesehen. Jedoch finde ich es interessant, mit welchen Maßstäben wir messen. Trump hatte nur sehr gut von den vielen Problemen in Amerika abgelenkt und ich glaube einfach nicht, dass sich mit dem Neuen großartig was ändern wird. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich irgendwann in 4 Jahren oder nach der Verleihung des nächsten Friedensnobelpreises.

 

Update 22.01.2021:

Wow! Es wird wirklich alles besser mit Biden. Ich glaub es ja nicht. Sofort nach seinem Amtsantritt ist der neu geführte Präsident dem Pariser Klimaabkommen beigetreten. Die Umwelt wird es freuen, wenn wieder aktiv über sie geredet wird.
Und wir wissen doch, drüber reden hilft am meisten. Wir können uns mit gutem Gewissen zurücklehnen. Aber nur so lange die Jugend auch jeden Freitag dafür auf die Straße geht.

Darf‘s a bisserl mehr sein?

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