O Tempora! O Mores!

O Tempora! O Mores!

Arbeitsteilung in einer hochzivilisierten Gesellschaft ist eine vernünftige Sache. Keiner bei klarem Verstand würde von einem Metzger am Knie operiert werden wollen, nur weil der scharfe Messer besitzt. Oder freiwillig über Brücken fahren, die Ratingagenturen gebaut haben, nur weil die theoretisch wissen, welcher Brückenbauer ihrer Ansicht nach gute Arbeit verrichtet. Handwerk - auch das akademische - will gelernt sein. Aus diesem Grund sollte Satire von Satirikern, Politik von Politikern und Nachrichten von Medienschaffenden gemacht werden. Doch diese Zeiten sind vorüber! Kabarettisten übernehmen die unabhängige Berichterstattung und Politiker versuchen sich in Satire. Wo diese Entwicklung wohl hinführt?

Kerngeschäft Recherche

Lange Zeit war das Kerngeschäft der Leitmedien die kritische Berichterstattung. Irgendwann kamen die Heuschrecken und kauften emsig Verlage auf. Seitdem verkümmern Nachrichten zu einem Geschäft, das Profit abwerfen muss. Journalisten müssen sich den Gesetzen der Marktwirtschaft beugen und - was viel schlimmer ist - ihren neuen Herren. Für unabhängige Berichterstattung ist das keine gute Nachricht.
Vielleicht mag diese Entwicklung der Grund sein, warum immer mehr Menschen ihre Informationen in alternativen Medien suchen. Erstaunlicherweise können die, ebenso wie alteingesessenen Print-Medien, sehr hochwertig sein. Dabei kaufen alternative Medien in aller Regel ihre Nachrichten nicht zentral von einer der wenigen Presseagenturen. Sie recherchieren selber - anscheinend können sie sich das noch leisten.
Und was ist mit den öffentlichen Rundfunkanstalten? Sind hier ebenfalls die alternativen Beiträge auf den Videoportalen besser als die täglichen Zusammenfassungen des Weltgeschehens in fünfzehn oder zwanzig Minuten (je nach Sender)?
Zumindest geben alternative Medien - egal ob Print oder Visuell - meist ihre Quellen an. Wer Zeit und Bock hat, kann den verbreiteten Informationen selber nachgehen. Hingegen bei den klassischen Medien wird uns ein Gesamtbild fertig vorgekaut präsentiert. So etwas wie Quellenverweise haben sie nicht nötig, schließlich befragen sie öffentlich-rechtlich geprüfte Experten. Und einzig die scheinen Ahnung zu haben, alle anderen sind bloß Wissenschaftler.
Ist also der Einwand der alten grauen Herren also berechtigt, wenn sie die alternativen Medien diffamieren?

Vor(ur)teil Unabhängigkeit?

Jeder kann posten, bloggen, vloggen - dezentral aus irgendeinem Wohnzimmer. Und allein der Zuschauer entscheidet, wer mit seinen Inhalten Geld verdient oder nicht. Demokratischer geht es fast nicht. Wie gut die Informationen recherchiert sind, muss jeder für sich selbst entscheiden. Es wäre allerdings falsch, von vornherein anzunehmen, nur weil jemand über das Internet Informationen verbreitet, dass diese per se falsch sein müssen. Selbst wenn, zuletzt ist auch die Lüge Teil der Meinungsfreiheit und damit müssen mündige Konsumenten klar kommen. Das ist ein unauflösbarer Deal einer jeden freiheitlichen Demokratie.

Demokratie - wohin gehst du?

Bei so viel frei zugänglichen und ungefilterten Informationen kann es dann schon mal passieren, dass vor den Wahlen der ein oder andere Politiker sich (aus Panik???) zu unrühmlichen Aussagen hinreisen lässt und eben mal kurz Zensur fordert. Die Pressesprecher der vorher nicht namentlich genannten Politiker haben ihre etwas missglückten Aussagen natürlich sofort beschwichtigt. Und so soll Zensur auch in Zukunft auf keinen Fall generell und schon gar nicht für jeden gelten. Doch für ein paar, dann aber nur für die kurz Zeit direkt vor Wahlen.
Denken kann man so etwas ja, aber aussprechen sollten gerade Politiker ein so Demokratie verachtendes Wort nicht. Im Grundgesetz heißt es in Artikel 5, zumindest als ich das gestern nachgeschaut hatte: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift, Bild FREI ZU ÄUSSERN …“. An dieser höchst demokratischen Grundsäule sollte keiner und schon gar nicht unsere Volksvertreter rütteln, stützt sie schließlich unser freiheitsbegründetes Geschäfts- … Verzeihung … Gesellschaftsmodell.
Zensur in einer Demokratie zu fordern, ist übrigens IMMER unglücklich formuliert, auch wenn die freie Meinungsäußerung nur zeitweise unterdrückt werden soll. Schnell könnte der Verdacht aufkommen, der ein oder andere Politiker hat eventuell das Konzept einer Volksvertretung nicht verstanden. Abgesehen davon … hat die P und P Monarchie (Politik und Presse) nicht ein viel subtileres und gefährlicheres Mittel, als platt nach Zensur zu schreien? Diskreditierung klug eingesetzt, kann Wunder bewirken.

Zeiten ändern sich

Früher hat man Menschen gewaltsam aus dem Weg geschafft, wagten sie es, gewissen Themen anzusprechen. Doch diese Methode ist in unserer aufgeklärten, zivilisierten Gesellschaft schon lange nicht mehr State of the Art. Dafür können wir dem Fortschritt und der Aufklärung wirklich dankbar sein - zumindest hier in den westlichen Demokratien. Heute sind die Mittel und Wege, den „Meinungs-Feind“ mundtot zu machen, viel subtiler. Das Spektrum reicht vom Ausblenden der Kritiker, kleineren Verleumdungen, wie Fake-News-Verbreiter oder Polemiker hin zum Verschwörungserzähler. Manchmal mögen die Vorwürfe der Politiker oder deren Sprachrohr (klassische Medien), sogar stimmen, manchmal aber auch nicht! Und genau das macht den grauen Herren Angst. Die dezentrale Informationsverbreitung im Internet gefährdet ihren alleinigen Anspruch auf Wahrheit genauso, wie zu Zeiten Gutenbergs der Buchdruck den der katholischen Kirche. Mündige Bürger, die lesen und unabhängig denken können, vorausgesetzt. Gilt übrigens heute wie damals.

Gerade das Internet könnte die Grundlage einer wirklich freien und florierenden Demokratie sein. Dezentraler Meinungsaustausch … der Traum jedes Vollblutdemokraten, jedoch gefährlich für den Allmachtsanspruch mancher grauen Herren.

Res Publica … ach ja, da war doch was!

Politiker müssen endlich wieder zu dem werden, was sie eigentlich sind: Vertretern des Volkes. Das haben sie zwar irgendwie erkannt, aber außer Versprechen, sich zu ändern, haben sie nicht viel getan. Vielleicht könnte irgendein überbezahlter Berater den gesellschaftsverlorenen Politikern helfen, ihr Verhalten zu korrigieren. Als Vorbild könnte z. B. der Laizismus dienen, ein Modell, dem die strenge Trennung von Kirche und Staat zugrunde liegt. Was sich hier in der Theorie nicht schlecht anhört, könnte doch auch auf das Zusammenspiel von Wirtschaft und Staat transponiert werden. Nur … wer soll das umsetzen? Unsere Volksvertreter oder die Wirtschaftsbosse ja wohl eher nicht!
Mal abgesehen davon, Legislaturperioden von vier Jahren sind eine verdammt lange Zeit und zu Recht darf man die Frage stellen, wie viel Herrschaft für das Volk nach abgegebener Stimme in dieser Zeitspanne übrig bleibt, geschweige denn nach 16 Regierungsjahren einer einzigen Frau? Manche Diktatoren haben nicht so lange regiert.
Warum halten wir es nicht wie Rousseau, der in seinem Gesellschaftsvertrag forderte: Weicht die Regierung von dem Allgemeinwillen des Volkes zu sehr ab, dann müssen die Volksvertreter abgesetzt werden.*

Schuld, ohne Sühne

Die großen Volksparteien fanden nach ihren Verlusten bei der Europawahl freilich schnell die Schuldigen. Es waren nicht ihre unglaubwürdigen Versprechen. Nein, es war einerseits das dumme Volk, das die falschen Parteien gewählt hat, andererseits waren es diese verdammten YouTuber. Manche Politiker sahen da eine Verbindung, ja, sogar eine Verschwörung von YouTubern mit dem mündigen Volk, das sich nicht mehr von den Mainstream-Medien beeinflussen lassen wollte. Da ist es aus Sicht mancher Politiker doch verständlich, mal kurz nach geordneter Zensur zu schreien.

Alle Parteien, vor allem die Grünen, müssen mit Inhalten zugunsten ihrer Bürger überzeugen; Parolen, hohle Versprechungen oder Politik für Besserverdiener reichen nicht mehr aus! Das nonrelevant Magazin "Extrablatt" sollte das einzige Format ohne Inhalte bleiben, wir machen das schließlich seit über 134 Jahren voll digital im Teletext. 

„Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten" sagte Rousseau.
Die Demokratie ist tot! Lang lebe die Demokratie! Oder war es die Aristokratie? Die Herrschaft der Besten (Megareichen) kann lediglich funktionieren, wenn der Rest sie gewähren lässt.


* Frei nach Rousseau „Vom Gesellschaftsvertrag“ 1. Buch Kapitel 6 am Anfang

 

PS: Selbstverständlich … im Internet gibt es Spinner, Idioten und Vollpfosten, die seltsame Pfade beschreiten und erschreckender weise noch Dümmere, die ihnen blind folgen. Spätestens, wenn irgendwer gegen Gesetzte verstößt, zur Hetze aufruft, sollte der Gesetzgeber einschreiten. Doch tut er das? Nicht konsequent genug, denn diese Spinner, Idioten und Vollpfosten - welche sie meist auch sind - werden benötigt, um Feindbilder zu etablieren.
Jedoch ist dies ein gefährlicher Pfad, den wir hier einschlagen. Ist ein Feindbild - egal wie gerechtfertigt es auf den ersten Blick auch sein mag - erst mal etabliert und hat sich eine Gesellschaft mit der Zeit an die vorurteilsbeladene Konzepte gewöhnt, wird es ihr immer leichter fallen, alle jene, die von der Mainstream-Meinung abweichen - unabhängig wie richtig sie liegen mögen - ebenfalls als Feindbild zu verunglimpfen.
Diesen Weg möchte ich nicht gehen, denn allzu leicht könnten wir auf der holprigen Reise unser wichtigstes Gut verlieren, die Meinungsvielfalt. Und die muss in einer Demokratie zu jeder Zeit gewährleistet sein. Wir brauchen den Dialog, den Schlagabtausch, sonst verlieren wir uns im polemischen Gemetzel.

Früher haben wir uns über die UFO-Experten lustig gemacht. Ich glaube jetzt nicht, dass UFO-Experten wegen ihrer irrwitzigen Meinung automatisch rechtsradikal waren. Sie hatten lediglich eine andere Sicht auf die Dinge. Die war witzig, auf keinen Fall schädlich, aber vor allem habe ich sie wegen ihrer Ansichten nicht gehasst.

Jetzt wird es ein bisschen pathetisch: Bitte vergessen wir nicht, hinter jeder Meinung, wie schräg die auch immer sein mag, steht ein Mensch. Ja, auch hinter rechtsradikalen Ansichten. Jedoch wird keiner als Nazi geboren. Das ist eine Entwicklung. Und das haben wir als Gesellschaft zu verantworten. Wir als Gesellschaft haben versagt, wenn es zu solchen Anschauungen überhaupt erst kommen konnte. Und wenn wir beginnen, mit demselben Hass jene zu bekämpfen, die hassen, haben wir alle gleichermaßen verloren. Denn Hass, egal wie gut er am Ende gemeint sein mochte, bleibt Hass.
An allen pseudo-intellektuellen Weltverbesserern: vorgespielte Heuchelei macht die Situation nicht besser.

Wem vertraue ich nun mehr - den klassischen oder den alternativen Medien? Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte, oder auch ganz woanders. Woher soll ich das wissen? Ich kann nur versuchen, mich der Wahrheit anzunähern, indem ich möglichst beide Seiten beleuchte. Am Ende muss mich auf mein Gefühl verlassen, doch ist das genug?
Was mir bei den klassischen Medien seit Längerem missfällt, ihr Anspruch auf Wahrheit. Daraus folgt automatisch, alle anderen liegen falsch. Dieses Verlangen nach Unfehlbarkeit fühlt sich falsch für mich an, macht mich misstrauisch. Ein Blick ins Geschichtsbuch bestärkt mein Gefühl.
Wie auch immer … wir brauchen mehr Dialog, bevor sich die Fronten zwischen klassischen und alternativen Medien komplett verhärten. Ich denke, lediglich zusammen werden wir … ja, was? Ich habe die Hoffnung auf eine wirklich aufgeschlossene Gesellschaft nicht verloren. Vor allem brauchen wir wieder mehr echte Diskussionen, nicht scheinbare Diskurse, die sich in vorgegebenen Rahmen bewegen. Meinungen müssen täglich Auslauf haben, in uneingeschränkten Begegnungen sollten sie sich beschnuppern, austauschen, vor allem, wenn sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Okay, „beschnuppern“ klang jetzt selbst für mich befremdlich. Aber Sie wissen hoffentlich, was ich meinte?

Soziale Plattformen ≠ alternative Medien.
Noch eine Klarstellung: Wenn ich im Artikel von alternativen Medien spreche, meine ich ausschließlich Formate, die Nachrichtensendungen entsprechen. Ich verstehe „Meldungen“ auf irgendwelchen sozialen Plattformen nicht als Nachrichten! Vor allem dann nicht, wenn sie maximal aus 160 Zeichen bestehen. Wollte ich noch erwähnt haben, wird nämlich gerne mal verwechselt.

PPS: Graue Herren sind für mich nicht fassbare Menschen, deren Ziel es ist, Macht und Geld anzuhäufen. Wer die genau sind, was sie genau vorhaben, wie sie aussehen, all das weiß ich nicht. Und vor allem, es interessiert mich auch nicht. Ich möchte lediglich, dass Demokratie funktioniert. Das Volk als Souverän. Alles andere wird dem untergeordnet, nicht andersrum. 

PPPS: Das Post Scriptum sollte nicht länger werden als der eigentliche Text. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle entschuldigen. Es war mir aber wichtig. Vielen Dank für Ihr Verständnis … insofern Sie es aufbringen. Wenn Sie es nicht aufbringen, hoffe ich zumindest, dass Sie meine Entschuldigung annehmen?

Bild: Besprechungsraum in der Antike

Darf‘s a bisserl mehr sein?

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