Darf ich mich vorstellen? Jochen

Darf ich mich vorstellen? Jochen

Es gibt ein paar Dinge, die ich ungern mache. Dazu gehört, über mich selbst zu reden, oder in diesem Fall, zu schreiben. Doch der Titel weckt womöglich eine gewisse Erwartung und der möchte ich nachkommen. Abgesehen davon käme es einer Themaverfehlung gleich, würde der Text von etwas anderem handeln. 

Ich war weder eines dieser hochbegabten Kinder, die schon Essays verfassten, bevor sie überhaupt lesen konnten, noch habe ich in meiner Jugend für die Schülerzeitung Pulitzer-verdächtige Artikel geschrieben. Ich erinnere mich weder an irgendwelche wegweisende Begegnungen mit besonders alten weisen Menschen, noch an andere herausragenden Wesen, die mich ich in meiner Kindheit in irgendeiner Weise positiv beeinflusst hätten. Unser Hausmeister war einfach ein Hausmeister und unsere Metzgerin einfach eine Fleischfachverkäuferin. Normal halt. Meine Eltern können sich an keine außergewöhnlichen Ereignisse oder Geschichten aus meiner Kindheit oder Jugend erinnern, genauso wenig der Rest meiner Familie. Ich war einfach Kind.
Insgeheim warte ich noch heute auf eine dieser besonderen Begegnungen, die die ersehnte Wendung in meinem Leben einleitet. Die Initialzündung. So wie in den Hollywood-Filmen. Vielleicht sollte ich öfter Taxi fahren oder mich mit Straßenkehrern unterhalten? Aber diese universalgelehrten Menschen, die einem den richtigen Weg weisen, gibt es wohl ausschließlich in Filmen. Ungeachtet dessen finde ich mich dennoch witzig, gelegentlich sogar geistreich. Und anscheinend nicht nur ich. Lassen Sie mich das anhand zweier Momente aus meiner Vergangenheit aufzeigen:

Der eine ereignete sich am Tag der Beerdigung meines Urgroßonkels. Wider Erwarten war ich ausgerechnet an diesem Tag gleich nach dem Aufstehen äußerst gut gelaunt. Das mag vielleicht daran gelegen haben, dass ich diesen verstorbenen Verwandten nicht wirklich kannte. Und so plapperte ich beim gemeinsamen Frühstücken mit den Eltern munter drauf los. Über den Inhalt kann ich heute nichts mehr sagen, ich weiß lediglich, so gesprächig war ich selten. Sie erinnern sich an den Text weiter oben? Ich war eher der introvertierte Typ, der sich allzu oft in den eigenen Gedanken verlor! Meine Eltern blieben erstaunlich ruhig, liesen mich gewähren. Anscheinend waren sie von meinem Redeschwall genauso überrascht wie ich. Sie tolerierten es, obwohl der Tag für sie ein trauriger war.
Auf der Autofahrt quasselte ich ungebremst weiter. Ich war nicht zu stoppen, zwei Stunden durchgehend bis zur Kirche, in der die Trauerfeier stattfand. Wir stiegen aus. Meine Eltern waren genervt, das sah ich an ihren Gesichtern. Offenbar wollten sie immer noch nichts gegen meine neu gewonnene Redseligkeit unternehmen. Ich denke, meine Eltern waren hin und her gerissen. Rügen, oder den Bub lassen, wenn er schon mal was erzählt. Um ihrem Dilemma zu entgehen, fanden sie einen galanten Ausweg, wie ich meine. In der Kirche setzten sie mich auf die Bank neben meine Oma. Sie hingegen kannte diesen verstorbenen Verwandten wirklich gut und wollte ihre Zeit zum Trauern. Schweigend! Hätte ich meinen Eltern gar nicht zugetraut. Ein eleganter Schachzug, denn es reichte, wenn meine Großmutter mich mit ihrem düsteren, durchdringenden Blick anstarrte. Spätestens jetzt mir war klar: Zeit zum Schweigen. Die Situation war ernst. Ich schaute zu ihr hoch, wollte ansetzen zu reden. Sie kniff ihre Augen zusammen, taxierte mich und ich wusste, sie in diesem Zustand zu reizen, wäre mein sicherer Tod. Ich blickt auf den Boden, verharrte ich regungslos auf der Kirchbank. Auch wenn ich sie nicht ansah, spürte ich ihren Blick. Er drückte von oben herab, genauso heftig wie die umgepolsterte Bank von unten. Ich wagte es nicht aufzusehen. Keinen Mucks gab ich von mir, ja, ich atmete sogar leiser. Allein ihrer Präsenz flößte mir eine Heidenangst ein. Obwohl, war es Angst oder einfach nur Respekt, den ich noch damals nicht richtig deuten vermochte? Meine Atmung wurde inzwischen so flach, dass ich fast ohnmächtig wurde. Doch ich hielt tapfer durch. Durch bis der Pfarrer endlich den Gottesdienst beendete. Ich kann mir bis heute nicht erklären, warum ihre Präsenz, ihr durchdringender Blick so viel Macht über mich hatten.
Beim anschließenden Leichenschmaus saß meine Oma an einem weit entfernten Tisch. Ziemlich klug eingefädelt, wie ich meinte. Ich fühlte mich frei. Endlich konnte ich wieder frei atmen und meine Laune war trotz der Phase des Schweigens immer noch ausgezeichnet. Die aufgestauten mussten Worte raus. Die anderen Trauergäste am Tisch, beachteten mich aber nicht. Anscheinend hatten sie Wichtigeres zu bereden. So wurde ich lauter. Ich war überzeugt, je lauter, desto witziger. Nun wurde ich beachtet. Meine Tischnachbarn verstummten, sahen mich an. Ich erzählte einen Witz. Ihre Mundwinkel regten sich wider Erwarten kein bisschen. Ein weiteren Witz und noch einer. Keine Reaktion. Dabei waren meine Bonmots laut. Ein bisschen mehr Höflichkeit hätte ich von meinem Publikum schon erwartet.
Es dauerte nicht lang und meine Mutter, die nicht ganz so weit entfernt saß, blickte ernsthaft drein. Vor meiner Mutter hatte ich weniger Angst, ihr Blick hatten keine Macht über mich. Ich machte weiter. Lauter, immer lauter. Bis sie mich am Arm packte, zur Seite zog und mich leise anschrie: „Albere nicht rum, reiß dich zusammen und verhalte dich den Umständen entsprechend“. Jetzt hatte ich ein bisschen Angst, gleichzeitig fühlte ich mich ein klein wenig stolz. Sie fand mich lustig. „Albern“ sagte sie. Ja, wer albert ist lustig.
Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, ob ich ihrer Empfehlung gefolgt bin, ebenso wenig wie der Name meines Urgroßonkels war. Ich weiß nur, meine Mutter fand mich lustig, lediglich der Umstand muss der falsche gewesen sein.

Der andere Moment ereignete sich während eines kulturellen Ereignisses. Meinen Eltern waren überzeugt, außerschulische Bildung sei wichtig und so standen wir eines Abends - mal wieder - im Foyer eines Theaters. Zum Reden hatte ich keine Lust. War genervt. Das Stück sollte ohne Pause sein. Allein schon das sinnfreie Rumstehen, bis die Türen zum Saal aufgingen, war belastend. Das Warten nervte mich mindestens genauso wie das Theaterstück. Hatte ich erwähnt, das Stück war ohne Pause. Mutter trank Sekt, ich Orangensaft. Mein Vater las im Programmheft. Dazu setze er seine Brille ab und legte sie auf seinen Kopf. Er brauchte sie zum Lesen nicht. Ich empfinde das übrigens noch heute als Ausdruck von Intellekt. Brille auf Kopf!
Theaterstücke sind ja schon unerträglich, aber ohne Pause ist es Hölle. Eine höhere Macht musste mir gewogen sein, denn kurz vor Beginn der Vorstellung ging der Feueralarm los. Da weder Rauch noch Feuer auszumachen waren, verließen wir mit den anderen Zuschauern das Theater recht geordnet und entspannt. Auf dem Vorplatz sammelten sich die Besucher und warteten der Dinge. Ich war derweil ziemlich aufgewühlt. So ein Feueralarm war aufregend, hatte ich einen Brand außerhalb des Fernsehers nie gesehen. Die anderen Theaterbesuchern waren wohl auch erreget, aber das war eher der Tatsache geschuldet, weil sie nicht wussten, ob das Stück nun aufgeführt würde oder nicht. Auf jeden Fall warteten wir alle in voller Erregung der Dinge, die da kommen sollten - selbstverständlich in angemessenem Abstand.
Keine fünf Minuten später fuhren Feuerwehr und Polizei mit Blaulicht vor. Ich zählte 12, nein 14 Löschzüge, zwei Polizeiautos. Die Feuerwehrmänner sprangen aus den Autos, liefen hektisch Hin und Her, während die Polizisten sich zur schaulustigen Menschenmasse gesellten. Was ein Schauspiel! Einer der Polizisten hatte sich in meiner unmittelbaren Nähe aufgebaut, gleich daneben stand der Theaterleiter, oder Intendant, oder so was ähnliches. Sie unterhielten sich. Ein Feuerwehrmann rannte eilig auf unsere kleine Gruppe zu, zeigte auf ein fette Stahltür am Nebeneingang und fragte den Theaterleiter: „Kommen wir durch diese Tür?“ Ich fühlte mich angesprochen, wollte helfen, ein Held sein, so wie im Fernseher und antwortete: „Wenn sie nicht verschlossen ist, ja!“ Der Polizist drehte sich zu mir und meinte: „Das ist ja geistreich, du Witzbold.“
Jener Polizist von damals fand mich also nicht nur lustig, sondern auch geistreich. Lediglich der Umstand muss der falsche gewesen sein, denn ich kann mich nicht erinnern, dass er, der Feuerwehrmann oder gar der Intendant gelacht hätten. Ich hingegen fand es lustig. Denn all diese vielen Feuerwehrautos waren ein bisschen viel Aufwand für ein klein wenig Rauch, der da aus einem Abfalleimer qualmte. Was dazu führt, dass das Theaterstück doch statt fand. Ohne Pause! 

Somit ist es bewiesen. Die höchsten Instanzen, zumindest die damals mir bekannten, hatten es bestätigt! Ich bin witzig und geistreich, auch wenn die jeweiligen Umstände nicht die richtigen gewesen sein mochten. Obwohl ich nie einer außergewöhnlichen Persönlichkeit begegnet bin, die mich auf magische Weise inspirierte, mir den richtigen Weg wies, gaben mir diese Momente, diese anerkennenden Worte, das nötige Selbstvertrauen. Seitdem schreibe ich unermüdlich meine witzigen sowie geistreichen Ideen auf die Seiten zahlreicher Blöcke nieder, mit dem Ziel, es irgendwann einmal einem Publikum zuteilwerden zu lassen.

Moment! Eine Geschichte hab ich vergessen. Da war noch Herr Unrat! Nicht der aus dem Buch … aber das erzähl ich ein andermal.

Auf jeden Fall kam irgendwann die Zeit, als die ersten Bonmots fertig waren und bereit für eine Veröffentlichung; allein der richtige Umstand fehlte. Wie konnte ich meine Texte nur an den Mann - oder Frau - bringen? Dass fremde Menschen zufällig in meine Wohnung kämen, um dort meine Niederschriften zu lesen, schien recht unwahrscheinlich. Woher sollten sie von meinem Geschreibsel auch wissen. Meine Pamphlete von irgendwelchen Balkonen zu werfen, empfand ich einerseits als zu aufwendig, andererseits als zu dramatisch. Abgesehen davon waren die Umstände für die Geschwister Scholl damals so gar nicht richtig. Fieberhaft suchte ich nach einer praktischeren Lösung. Fast wäre mein Projekt gescheitert. Keine Öffentlichkeit - kein Publikum. Aber … da war ja noch das Internet, was damals übrigens wirklich noch Neuland war.
Ich startete meinen ersten Versuch mit der Internetseite tick17.de. Das muss jetzt ungefähr 15 Jahre her sein. Die Seite gibt es nicht mehr, was übrigens nicht bedauerlich ist, denn sie hatte nur einen Leser. Meine Mutter! Und auch nur deswegen, weil ich in ihrem Browser tick17.de als Startseite eingerichtet hatte und jedes Mal, wenn sie ins Internet ging, wurde ein Besucher auf meiner Seite registriert. Na gut, die Seite gibt es noch, aber ich betreibe sie nicht mehr. Sie brauchen sich nicht die Mühe machen und Ihren Browser zu öffnen. Ist irgendwas Ernstes.
Zur selben Zeit betrieb ein guter Freund ebenfalls eine Internetseite. Auch er hatte Zeit und Langeweile. Irgendwann verlor er jedoch das Interesse, wahrscheinlich weil er keine Zeit und Langeweile mehr hatte? Jedenfalls überließ er mir - dankenswerterweise - den Namen seiner Seite und NONrelevant wurde wiedergeboren.

Übrigens:
All meine Texte unterliegen einer strengen Qualitätskontrolle. Jeder einzelne Artikel wurde vor Veröffentlichung von mir persönlich auf geistreiche Witzigkeit getestet! Bevor ich mit der Vorbereitung eines Texts überhaupt erst beginne, habe ich zufällig ausgewählten Personen im näheren Umfeld bereits von meinen Bonmots erzählt - unabhängig davon, ob es sie interessiert oder nicht. Das mach ich so lange, bis sie entweder lachen oder genervt sind. Daher kann ich Ihnen an dieser Stelle eidesstattlich versichern: Meine Ideen haben stets eine Emotion hervorgerufen.

 

Ein ganz schön langer Text dafür, dass ich nicht gerne über mich rede!
Und vor allem, eine Frage blieb unbeantwortet. Wer bin ich nun eigentlich?
Ich bin … irgendwie immer nachdenklich, obwohl ich weiß, dass ich nicht so klug bin, dass ich nichts weiß, schon gar nicht weise bin! Sehr häufig ziemlich sarkastisch, was teilweise für mein Umfeld anstrengend ist. Irgendwie neurotisch, was teilweise für mich anstrengend ist. Irgendwie wirr im Kopf. Bin Sohn meines Vaters und wie ich viel später erst begriffen habe, ebenso Sohn meiner Mutter. Stets kritisch, auf jeden Fall sehr politisch. Wann immer möglich, irgendwie weltoffen. Allzu oft melancholisch und ein Wirklichkeitsflüchtling. Körperlich betrachtet bin ich die Summe meiner Arme, Beine, Hände, Füße, Augen, Ohren und alles andere, was sonst noch dazugehört. Auch Haare! Sogar auf dem Kopf.
Um es kurz zusammenzufassen: Ich bin … irgendwie Mensch.

Es ist mir äußerst wichtig, an dieser Stelle mit Nachdruck festzuhalten: Ich bin KEIN Blogger!
Ich sehe mich eher irgendwie in der Tradition eines Pamphlete-Schreiberlings mit einem nicht geringen Anteil Hofnarr. Mein Ziel, Menschen auf- … nein, wach(!)-zurütteln!
Ja gut, ich übertreibe etwas; die Pferde gingen mit mir durch.

Und zu guter Letzt meine Hobbys. Welche da wären:
Lesen, Frühstücken auf dem Balkon, Reiten (aber nur in Richtung Sonnenuntergang) und mit der Frau am Kamin sitzen. Blöd nur, dass ich weder Pferd noch Feuerstelle besitze. Um ehrlich zu sein, unsere Wohnung hat noch nicht mal einen Balkon.


Postskriptum:
Wer nicht selber denkt, für den wird gedacht.
Das ist von keinem Freund, das hab ich mir ganz alleine ausgedacht. Irgendwie krass, oder?

Darf‘s a bisserl mehr sein?

Kommen Sie ruhig etwas näher!

Kommen Sie ruhig etwas näher!

Darf ich mich vorstellen? Tanja

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