Darf ich mich vorstellen? Jochen

Darf ich mich vorstellen? Jochen

Es gibt ein paar Dinge, die ich ungern mache. Dazu gehört, über mich selbst zu reden, oder in diesem Fall, zu schreiben. Doch der Titel weckt womöglich eine gewisse Erwartung und der möchte ich nachkommen. Abgesehen davon käme es einer Themaverfehlung gleich, würde der Text hier abrupt enden.

Ich war weder eines dieser hochbegabten Kinder, die schon Essays verfassten, bevor sie überhaupt lesen konnten, noch habe ich in meiner Jugend für die Schülerzeitung Pulitzer-verdächtige Artikel geschrieben. Meine Eltern wissen keine außergewöhnlichen Geschichten aus meiner Kindheit zu erzählen, genauso wenig der Rest meiner Familie. Ich erinnere mich zudem weder an irgendwelche Intellektuelle, wie z. B. Lehrerinnen oder Fachfleischverkäufer, noch an andere herausragenden Persönlichkeiten, denen ich während meiner Kindheit begegnet wäre, die herausragende Fähigkeiten bei mir ausgemacht hatten. Im Gegenteil. Mein damaliges Umfeld beschrieb mich als ein normales, eher introvertiertes Kind mit keinen Hang zu irgendwelchen Talenten.
Manchmal denke ich, sie hatten recht, denn bis heute überlege ich noch, wo genau meine Fähigkeiten liegen, überhaupt, was ich Sinnvolles mit mir anfangen soll. Ungeachtet dessen finde ich mich witzig, gelegentlich sogar geistreich. Lassen Sie mich das mit zwei Momenten aus meiner Kindheit belegen:

Der eine ereignete sich am Tag der Beerdigung meines Urgroßonkels. Wider Erwarten war ich ausgerechnet an diesem Tag gleich nach dem Aufstehen erstaunlich gut gelaunt. Das mag unter anderem daran gelegen haben, dass ich diesen Verwandten gar nicht kannte. Die gute Laune setzte sich beim gemeinsamen Frühstücken fort. Das zeigte sich, indem ich munter drauf los plapperte. Über den Inhalt kann ich heute nichts mehr sagen, ich weiß lediglich, so gesprächig war ich bei Tisch selten. Sie erinnern sich, was ich weiter oben ausgeführt hatte? Ich war eher der introvertierte Typ! Meine Eltern blieben erstaunlich ruhig und liest mich gewähren. Vielleicht waren sie von meinem Redeschwall genauso überrascht wie ich und tolerierten deswegen mein Verhalten an so einem traurigen Tag.
Auf der Autofahrt zur Gedenkfeier war meine Stimmung ungebrochen gut. Ich plapperte ungebremst vor mich hin. Ich war nicht zu stoppen - bis zur Kirche, wo die Trauerfeier stattfand. Meine Eltern waren genervt, das sah ich an ihren Gesichtern. Offenbar wollten sie immer noch nichts gegen meine neu gewonnene Redseligkeit unternehmen. Ich denke, meine Eltern wogen in dieser Situation hart ab zwischen Rügen und wir müssen den Bub lassen, wenn er schon mal was erzählt. Um diesem Dilemma dennoch zu entkommen, sahen sie wohl nur einen Ausweg. Sie setzten mich in der Kirche auf die Bank direkt neben meine Oma. Ein kluger Schachzug, denn meine Großmutter brauchte mich nur mit ihrem düsteren, durchdringenden Blick anzustarren und mir war klar: Zeit zum Schweigen. Wenn sie ihre Augen zusammenkniff und mich taxierte, wusste ich, sie in diesem Zustand zu reizen, ist vollkommen dämlich. Keine Ahnung, wie sie nur mit ihren Augen so viel Macht ausüben konnte. Ich verharrte jedenfalls regungslos auf der harten Kirchbank. Ich spürte ihren Blick, wagte es nicht aufzusehen. Keinen Mucks gab ich von mir, ja, ich atmete sogar leiser. Meine Atmung wurde so flach, dass ich fast ohnmächtig wurde. Ich hielt das tapfer durch, bis der Prediger nach gefühlten 4 Stunden endlich die Trauerfeier beendete.
Beim anschließenden Leichenschmaus saß meine Oma an einem weit entfernten Tisch. Ich fühlte mich wieder frei und meine Laune war trotz der kurzen Phase des aufgezwungenen Schweigens ausgezeichnet. Ihren Augen entkommen, konnte ich nicht mehr an mich halten, die aufgestauten Worte mussten raus. Mein Publikum, also die anderen Trauergäste am selben Tisch, beachteten mich aber nicht. Anscheinend hatten sie Wichtigeres zu bereden. Ich wurde lauter. Damals war ich überzeugt, je lauter, desto witziger. Jetzt wurde ich beachtet. Meine Tischnachbarn verstummten, doch ihre Mundwinkel regten sich wider Erwarten kein Stück; sie lächelten nicht mal höflichkeitshalber, dabei waren meine Erzählung doch laut.
Es dauerte nicht lang und meine Mutter, die nicht ganz so weit entfernt saß, blickte düster drein. Vor meiner Mutter hatte ich keine Angst, ihre Augen hatten keine Macht über mich. Ich machte weiter. Lauter, immer lauter. Bis mich jemand am Arm packte, zur Seite zog und mich leise anschrie: „Albere nicht rum, reiß dich zusammen und verhalte dich den Umständen entsprechend“. Es war meine Mutter. Jetzt hatte ich doch ein bisschen Angst.
Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, ob ich ihrer Empfehlung gefolgt bin, ebenso wenig wie der Name meines Urgroßonkels war. Ich weiß nur, meine Mutter fand mich lustig, lediglich der Umstand muss der falsche gewesen sein.

Der andere Moment ereignete sich während eines kulturellen Ereignisses. Meinen Eltern waren überzeugt, außerschulische Bildung sei wichtig und so standen wir eines Abends - mal wieder - im Foyer eines Theaters. Zum Reden hatte ich keine Lust. War eher genervt. Das Stück sollte ohne Pause sein. Allein schon das sinnfreie Rumstehen, bis die Türen zum Saal aufgingen, war belastend. Das Warten nervte mich mindestens genauso wie das Theaterstück ohne Pause. Mutter trank Sekt, ich Orangensaft. Mein Vater las im Programmheft. Dazu legte er seine Brille auf den Kopf, er brauchte sie nicht zum Lesen. Ich empfand und empfinde das heute übrigens noch als Ausdruck von Intellekt. Brille auf Kopf!
Eine höhere Macht musste mir gewogen sein, denn kurz vor Beginn der Vorstellung ging der Feueralarm los. Da weder Rauch noch Feuer auszumachen waren, verließen wir mit den anderen Zuschauern das Theater recht geordnet und entspannt. Für meine Eltern schien der Abend gelaufen und sie wollten heimgehen. Ich bestand jedoch darauf, zu bleiben, das Spektakel zu verfolgen. So ein Feuer war aufregend, denn außerhalb des Fernsehers hatte noch nie einen Brand gesehen. Wir blieben und verfolgtem mit anderen Theaterbesuchern und ein paar Schaulustigen in angemessenem Abstand das Schauspiel. Feuerwehr und Polizei fuhren mit Blaulicht vor. Ich zählte 12 Löschzüge, zwei Polizeiautos. Die Feuerwehrmänner sprangen aus den Autos, liefen hektisch Hin und Her, während die Polizisten sich zur schaulustigen Menschenmasse gesellten. Einer der Polizisten hatte sich in meiner unmittelbaren Nähe aufgebaut, gleich daneben stand der Theaterleiter. Sie unterhielten sich. Ein Feuerwehrmann rannte eilig auf unsere kleine Gruppe zu, zeigte auf einen Nebeneingang und fragte den Theaterleiter: „Kommen wir durch diese Tür?“ Ich fühlte mich angesprochen, ich wollte helfen, wollte ein Held sein, so wie im Fernseher und antwortete: „Wenn sie nicht verschlossen ist, ja!“ Der Polizist drehte sich zu mir und meinte: „Das ist ja geistreich, du Witzbold.“
Jener Polizist von damals fand mich nicht nur lustig, sondern auch geistreich. Lediglich der Umstand muss der falsche gewesen sein, denn ich kann mich nicht erinnern, dass er gelacht hätte. Ich hingegen fand es schon lustig. All das war ein bisschen viel Aufwand für einen glimmenden Abfalleimer. Es war übrigens ein Fehler zu bleiben, denn das Theaterstück ohne Pause fand statt. Hätte ich mal auf meine Eltern gehört.

Und dann war da noch Herr Stiller, nicht der aus dem Buch. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die höchsten Instanzen, zumindest die damals mir bekannten, hatten es bestätigt! Ich war witzig und geistreich, auch wenn die jeweiligen Umstände nicht die richtigen gewesen sein mochten. Obwohl ich nie einer außergewöhnlichen Persönlichkeit begegnet bin, die mich inspirierte, mir den richtigen Weg wies, gaben mir diese Momente, diese anerkennenden Worte, das nötige Selbstvertrauen. Seitdem schreibe ich unermüdlich meine witzigen sowie geistreichen Ideen auf die Seiten zahlreicher Blöcke, mit dem Ziel, es irgendwann einmal einem Publikum zuteilwerden zu lassen.

Schließlich kam die Zeit. Die ersten Bonmots waren fertig und bereit für eine Veröffentlichung, allein der richtige Umstand fehlte. Wie konnte ich meine Texte nun an den Mann - oder Frau - bringen? Dass fremde Menschen zufällig in meine Wohnung kämen, um dort meine Niederschriften zu lesen, schien mir recht unwahrscheinlich. Woher sollten sie von meinem Geschreibsel auch wissen. Meine Pamphlete von irgendeinem Balkon zu werfen, empfand ich einerseits als zu aufwendig, andererseits als zu dramatisch. Abgesehen davon waren die Umstände für die Geschwister Scholl damals so gar nicht richtig. Fieberhaft suchte ich nach einer praktischeren Lösung. Fast wäre mein Projekt an Ermangelung von Ideen gescheitert. Doch da war ja noch das Internet und das ist bekanntermaßen, genau wie Papier, sehr geduldig.
Ich startete meinen ersten Versuch mit der Internetseite tick17. Das muss jetzt 15 Jahre her sein. Die Seite gibt es nicht mehr, was übrigens in keiner Weise bedauerlich ist, denn sie hatte nur einen Leser. Meine Mutter! Und auch nur deswegen, weil ich in ihrem Browser tick17.de als Startseite eingerichtet hatte und jedes Mal, wenn sie ihn öffnete, wurde ein Besucher auf meiner Seite registriert. Zeitgleich betrieb ein guter Freund ebenfalls eine Internetseite, an der er irgendwann jedoch das Interesse verlor. Dankenswerterweise überließ er mir nach geraumer Zeit den Namen und NONrelevant wurde wiedergeboren.

Obwohl … aus heutiger Sicht schätze ich die Situation mit dem Polizisten anders ein. Das mit dem „geistreich“ könnte er wohl eher herablassend gemeint haben.

Übrigens:
Keine Angst vor dem Lesen meiner Texte! In aller Regel teste ich sie vor Veröffentlichung auf Witzig- sowie Geistreichigkeit! Ich erzähle allen Menschen in meinem direkten Umfeld, egal welchen Geschlechts oder welcher Herkunft, den Inhalt so lange, bis ich ein Lächeln ihnen erwirke. Sollte ich wider Erwarten auch nach Tagen keine humorige Reaktion auslöse, lasse ich Ideen fallen. Da bin ich konsequent! Meine Tests sind völlig unabhängig davon, ob meine Mitmenschen meine Ideen hören wollen oder nicht. Ich kann Ihnen versprechen: In aller Regel sind meine veröffentlichten Texte überprüft und für lustig befunden. (Achtung: Hierbei handelt es sich um eine nicht repräsentative Erhebung!)

 

Ein ganz schön langer Text dafür, dass ich nicht gerne über mich rede! Und vor allem, eine Frage blieb unbeantwortet … Wer bin ich nun?
Ich bin nachdenklich, obwohl ich weiß, dass ich nicht so klug bin, dass ich nichts weiß! Sehr häufig sarkastisch, was teilweise für mein Umfeld anstrengend ist. Irgendwie neurotisch, was teilweise für mich anstrengend ist. Gelegentlich wirr im Kopf. Ich bin Sohn meines Vaters und wie ich viel später erst begriffen habe, ebenso Sohn meiner Mutter. Ich bin auf jeden Fall politisch. Stets kritisch, wann immer möglich, weltoffen. Allzu oft melancholischer Wirklichkeitsflüchtling. Körperlich betrachtet bin ich die Summe meiner Arme, Beine, Hände, Füße, Augen, Ohren und alles andere, was sonst noch dazu gehört. Also auch Haare, sogar noch auf dem Kopf.
Um es kurz zusammenzufassen: … einfach irgendwie Mensch.

Es ist mir äußerst wichtig, an dieser Stelle mit Nachdruck festzuhalten: Ich bin KEIN Blogger!
Ich sehe mich eher in der Tradition eines Pamphlete-Schreiberlings, eines Hofnarren, eines Wachrüttlers!
Ja gut, ich übertreibe etwas, die Pferde gingen mit mir durch.

Und zu guter Letzt meine Hobbys. Welche da wären:
Lesen, Frühstücken auf dem Balkon, Reiten (aber nur in Richtung Sonnenuntergang) und mit meiner Frau am Kamin sitzen. Blöd nur, dass ich weder Pferd noch Feuerstelle besitze. Um ehrlich zu sein, meine Wohnung hat noch nicht mal einen Balkon.


Post Skriptum:
Wer nicht selber denkt, für den wird gedacht.
Das ist von keinem Freund, das hab ich mir ganz alleine ausgedacht. Krass, oder?

Darf‘s a bisserl mehr sein?

Kommen Sie ruhig etwas näher!

Darf ich mich vorstellen? Tanja

Darf ich mich vorstellen? Tanja

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