Das Erwachen der Begierde

Das Erwachen der Begierde

Wahrheit hat viele Blickwinkel. Mindestens genauso viele hat Werbung und ich weiß, keiner dieser vielen Blickwinkel nimmt es mit der Wahrheit ganz genau. Und trotzdem will ich ihr glauben. Schließlich dreht mir Werbung keinen schnöden Scheiß an, sondern verheißt mir eine bessere Welt. Und das allein schon rechtfertigt ihr Dasein, oder?

Werbung ist ehrlich, ehrlich!

In meinen Kindertagen hatte ich an das geglaubt, was ich im Fernseher sah. Ich war der Überzeugung, lila Kühe gab es wirklich und dank ihnen hatte ich Schokolade. Der Fernsehspot kombiniert mit der Tatsache, dass ich ein waschechtes Kind der Großstadt war, trübte wohl meinen infantilen Verstand. Ich war der festen Überzeugung, nichts ist unmöglich und die Rinder würden aus ihrem Allerwertesten die leckere Schokolade zaubern. Rückblickend wunder ich mich doch über mich selbst. Wie konnte ich als Kind nur glauben, dass lila Kühe - ohne Hilfe fleißiger Fabrikarbeiter aus Bulgarien - meine Schokolade herstellen würden. Heute als Erwachsener weiß ich genau, was hinten aus einer Kuh rauskommt.
Ebenso hatte ich geglaubt, Käpt‘n Iglo und seine Crew aus Knaben fuhren mit ihrem Segelschiff aufs Meer hinaus, um dort Fische mit umweltfreundlichen Hand-Keschern von der Meeresoberfläche abzufischen, damit sie unmittelbar nach dem Fang und vor allem ohne Zwischenstopps in Marokko meine geliebten Fischgerichte herstellten. Und da ich als Kind fernab von irgendwelchen Häfen aufwuchs, war meine Sichtweise stark verwässert. Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, wie Fischfang wirklich funktioniert. Genauso wenig war mir Kinderarbeit ein Begriff. Ganz im Gegenteil, in meiner eingeschränkten Welt dachte ich, die Jungs hätten Freude am Fahren.

Werbung war stets gut zu mir. Durch meine Kinderaugen sah ich eine schöne Welt. Es gab nicht den geringsten Grund, an ihr zu zweifeln. Sie musste einfach ehrlich sein. Später, als ich von daheim auszog und glücklich über meine erste eigene Wohnung war, versprach mir Ikea ein unbeschwertes Leben mit Billy. Die Wohnung war zwar klein, aber immerhin quadratisch, praktisch, gut.
Zu diesem Zeitpunkt war ich jedoch alt genug, als mich noch von unrealistischen Werbeversprechen an der Nase herumführen zu lassen, wurde ich doch von unserem Schulsystem bestmöglich ausgebildet. Und so meinte ich zu wissen, wie die Dinge laufen! Doch irgendwann zwischen Milka, Iglo und Ikea ist etwas mit mir passiert. Trotz guter Aufklärung sehnte ich mich nach Produkten, die ich nicht brauchte. Das Bücherregal in meinem alten Kinderzimmer war nicht nur voll funktionsfähig, weil aus echtem Eichenholz, sondern geradezu schön. Aber ich wollte in meinen ersten vier Wänden nicht bloß wohnen, ich wollte leben. Und das ging lediglich mit Billy!
Wenig später, als ich mit einem Job mein eigenes Geld verdiente, kam das Ding mit dem Geiz dazu, der mich so geil machte, dass beim bloßen Anblick der vermeintlichen Angebote all mein Blut in meine Kreditkarte floss. Der Kaufrausch ließ mich vergessen, dass ich lediglich spare, wenn ich nichts kaufe.

Ich hoffe, also konsumiere ich.

Warum gelingt es den Marketing-Abteilungen immer wieder, mir Produkte aufzuschwatzen, die ich nicht brauche? Bin ich zu schwach, oder sind sie zu stark? Sind es denn wirklich meine Begierden … oder doch eher ihre Verlockungskünste? Konsumiere und du bist Teil eines schönen und unbeschwerten Lebens. Der Wahnsinn hat sich in meinem Kopf breitgemacht. Sie haben mich verführt und ich meine Prioritäten gesetzt.
Ich glaube, obwohl ich weiß.

Werbung sollte ehrlich sein!

Aus eigener Kraft werde ich dem Teufelskreis nicht entkommen. Vielleicht könnte mir der Gesetzgeber dabei helfen, indem er die Großkonzerne überredet, ehrlich zu werben. Vielleicht würde mich die hässliche Wahrheit im Hochglanzformat aufrütteln und ich könnte mich endlich dem mir selbstauferlegten Konsum-Wahnsinn entziehen; meine Bedürfnisse neu ordnen.
Schließlich würde ich nie Fleisch essen, das von Tieren kommt, die ihr ganzes Leben gequält wurden. Wenngleich ich auch ohne ehrliche Werbung irgendwie wissen müsste, dass es wahrscheinlich mehr Tierwohl-Labels als glückliche Viecher gibt. Obwohl … wäre es nicht humaner, Tiere zu schlachten, die eine eher unglückliche Kindheit hatten? Einem gequälten Schwein ein schnelles Ende zu bereiten, könnte ich zumindest besser mit meinem Gewissen vereinbaren als die Tatsache, dass ein Tier auf meinem Teller liegt, das mitten aus seinem glücklichen und vielleicht sogar erfüllten Leben gerissen wurde.
Auch würde ich nie Kleidung kaufen, die von Kindern in Bangladesch genäht oder Smartphones, die von Erwachsenen unter menschenunwürdigen Bedingungen in China hergestellt wurden. Wenngleich ich auch ohne ehrliche Werbung wissen müsste, dass Großkonzerne auf Kosten der Armen ihre Gewinne erzielen. Genauso wenig würde ich nie Obst und Gemüse kaufen, das von Sklaven geerntet wurde. Wenngleich ich auch ohne ehrliche Werbung wissen müsste, dass mein Wohlstand auf deren Leid beruht.
Und schon gar nicht würde ich Jeans-Hosen kaufen, welche mit viel Einsatz von Chemikalien auf alt gemacht wurden, nur damit sie neu bereits gebraucht aussehen. Wenngleich ich auch ohne ehrliche Werbung wissen müsste, dass arme Fabrikarbeiter die giftigen Chemikalien ohne Schutzkleidung auf die Beinkleider auftragen und wahrscheinlich ihr vierzigstes Lebensjahr nicht erleben werden.

Immerhin kann ich mir einreden, ohne meinen Konsum hätten diese armen Menschen überhaupt keine Arbeit. Ja … genau! Guten Freunden gibt man eben ein Küsschen. Dank meiner Verbundenheit können sie für ihre Kinder sorgen, haben was zum Essen, sind ein kleines bisschen weniger arm. Das ist ja viel nachhaltiger als gebrauchte Klamotten oder Smartphones auf dem Flohmarkt zu kaufen.

Ich will!

Augen zu und durch, denn ich will die hässliche Wahrheit nicht sehen. Ein schlechtes Gewissen würde meinem Konsum nur unnötig im Wege stehen und so glaube ich lieber den aufpolierten Hochglanz-Blickwinkeln der Firmen und ihren Versprechen, wie nachhaltig, umweltfreundlich und menschenwürdig sie produzieren. Die immer neuen Labels der Industrie spülen all meine Bedenken weg, solange nur drauf steht: nachhaltig, umweltbewusst und menschenwürdig gehandelt. Danach ein Ausrufezeichen! Das Satzzeichen ist wichtig, beseitigt es den letzten Rest meiner Zweifel. Die Labels und die Slogans haben mich freigesprochen, meine Unschuld bestätigt, und nicht nur ich, auch Sie baden gerade Ihrer Hände drin. Die Labels und die Slogans halten mein Gewissen rein wie der Klo-Stein meine Toilette - okay, aber wenigstens überdecken beide den üblen Beigeschmack.

Konsum macht … glücklich. Er hält meine Begierden aufrecht. Ich will ihnen gar nicht widerstehen. Und so bleibt mir nichts anderes übrig, als zu kaufen, was ich eigentlich gar nicht will. Just do it!

ABER … über eine Werbung lass ich nichts kommen. Wer behauptet, im Kinderriegel sei keine extra Portion Milch drin, der lügt. Diesen Blickwinkel ändere ich für keine Wahrheit.

Wichtige Anmerkung zu diesem Text:
Neben Mondelez International, die Milka vertreiben, gibt es auch noch Schokolade von der Ferrero Group, von Mars Wrigley Confectionary, von Meiji Holdings Co. Ltd. und von vielen anderen Herstellern.
Neben Ikea kann man noch bei Möbel Höffner, XXXLutz, Mömax oder vielen anderen Geschäften seine Möbel kaufen.
Und Fisch gibt es auch von Frosta, Krone, Nordsee und vielen anderen Herstellern.  

Bild: mohamed_hassan-5229782 von Pixabay

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