Eine Gruppe chinesischer Gastronomen hatte über Jahrzehnte hinweg tausende Intellektuelle entführt. Unter den Geiseln befanden sich vor allem Geisteswissenschaftler und Philosophen. Sie wurden unter sklavenähnlichen Bedingungen gezwungen, sinnvollere Sprüche für ihre Glückskekse zu verfassen.
Der sogenannte Glückskeks-Skandal ist ebenso verstörend wie grotesk – und kam nur durch einen Zufall ans Licht. Eigentlich recherchierten Reporter des Magazins „Ethik heute“, wie es in der westlichen Welt um die Moral bestellt sei. Dabei fiel ihnen auf, dass es in Talkshows immer schwieriger wurde, echte Experten zu finden, die kluge Dinge sagen konnten.
Da Moral bekanntlich warten kann, nahmen die Reporter die neue Spur auf – und stießen bald auf eine der erschütterndsten Enthüllungen der letzten zwanzig Jahre. Sie deckten nicht nur ein systematisches Entführungsnetzwerk auf, sondern retteten womöglich die letzten Intellektuellen der zivilisierten Welt.
Ausgerechnet die Vielzahl belangloser Talkshows, in denen man ansonsten über „alles und nichts“ debattiert, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Ohne deren intellektuellen Notstand wäre das Verschwinden der Denker wohl nie aufgefallen. So aber führte die seichte Oberfläche der Medienlandschaft – paradoxerweise – in die Tiefe eines internationalen Skandals.
Die Hoffnung ist nun groß, dass nach der Genesung der befreiten Geisteswissenschaftler und Philosophen die öffentliche Debatte wieder an Tiefe gewinnt – klüger, kontroverser und nicht länger in Keksform komprimiert. Dennoch sollten Zuschauer von Diskussionssendungen vorerst nicht zu viel erwarten. Ein kurzer Blick in den nächsten Glückskeks könnte nach wie vor die klügere Lektüre sein.
Warum das Verschwinden so vieler Intellektueller über Jahre hinweg niemandem auffiel, konnten die Reporter bis heute nicht beantworten. Ebenso wenig, wie es derzeit eigentlich um die Moral in der westlichen Welt steht.
Update vom 14.12.2020
Topmanager westlicher Großkonzerne verurteilen das Vorgehen der chinesischen Gastronomen aufs Schärfste. In einer gemeinsamen Werbeaktion wollen sie ein Zeichen für mehr Menschlichkeit setzen. „Menschen zur eigenen Bereicherung auszubeuten, ist einfach unmoralisch“, hieß es in einer Pressemitteilung – veröffentlicht direkt nach einer Preisverleihung für nachhaltige Renditeoptimierung.
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